VVG: Versicherungslobby ungebremst auf dem Vormarsch

Ein weiteres Mal befasste sich die Wirtschaftskommission des Nationalrates mit der längst überfälligen Revision des Versicherungsvertragsgesetzes. Auftrag der Volksvertreter wäre es, das Ungleichgewicht zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherten zu beseitigen oder zumindest zu verringern. Das Gegenteil passiert jedoch. Zum Teil wird die Position des Versicherten sogar noch weiter geschwächt.
Vom Entwurf, der vor Jahren in langwieriger Arbeit unter Mithilfe von diversen Experten erarbeitet worden ist, hat sich der zur Debatte stehende Revisionsentwurf weit entfernt. Die Versicherungsbranche hat im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens gewirkt, vom ursprünglichen Vorschlag ist kaum etwas übrig geblieben. Was bleibt ist eine Vorlage, welche den Titel Revision nicht mehr verdient. Die Versicherten sind den Versicherungsunternehmen grösstenteils ausgeliefert. Zum Teil entstanden sogar schlechtere Gesetzesartikel, verglichen mit heute. Alles, was die Stellung der Versicherten doch noch gestärkt hätte, wurden grösstenteils abgewiesen. Hier einige Beispiele:
- Einseitige Anpassung durch den Versicherer: Ein Antrag, dass das im Entwurf vorgesehene einseitige Anpassungsrecht gestrichen wird, wurde abgelehnt. Mit anderen Worten: Das Gesetz soll es dem Versicherer – ganz im Gegenteil zu heute – zukünftig schwarz auf weiss erlauben, die Bedingungen seiner Versicherung jederzeit nach seinem Gutdünken anzupassen. Sofern der Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt des Versicherungsabschlusses entsprechend darüber informiert wurde, stelle dies kein Problem dar, so die Meinung der Kommissionsmehrheit.
- Keine Haftung für erst nachträglich feststellbare Schäden: Ein Antrag wollte, dass bei Krankenzusatzversicherungen die Versicherer für Schäden haften, die innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt des versicherten Risikos auftreten. Die Leistungspflicht soll auch dann gelten, wenn das Vertragsverhältnis inzwischen aufgelöst wurde. Insbesondere Gesundheitsschäden treten häufig erst nach einer gewissen Zeitdauer auf. Stossende Fälle, in welchen keine Versicherungsleistung mehr vorhanden ist, könnten mit der Umsetzung des Antrags zukünftig verhindert werden. Der Antrag wurde knapp abgelehnt, mit der Begründung, den Interessen der Versicherten sei Genüge getan, wenn er bei Vertragsabschluss über die nicht bestehende Nachhaftungspflicht, also über den eigentlichen Mangel, informiert werde.
- Grünes Licht für einseitige Leistungsbeschränkungen: Abgelehnt wurde ebenfalls ein Antrag, der Vertragsklauseln für nichtig erklären wollte, mit denen die Versicherer ihre Leistungspflicht nach Eintritt des befürchteten Ereignisses beschränken oder gar aufheben können. Somit soll es auch in Zukunft zulässig sein, dass beispielsweise ein Krankenversicherer nach einem Unfall seine Taggeldzahlungen massiv einschränkt oder gar einstellt – falls er gleichzeitig den Versicherungsvertag kündigt. Auch diese Praxis befand die Kommissionsmehrheit für unproblematisch, sofern der Versicherte vorgängig über das Recht des Versicherers informiert werde.
- Zurückkrebsen beim Widerrufsrecht: Beschloss die Kommission im April 2018 noch, dass die längst fällige Einführung des Widerrufsrecht im Bereich der Versicherungsverträge auch für wesentliche Vertragsänderunge/-ergänzungen gelten soll, so kam sie nun auf diesen Beschluss zurück. Widerruf soll lediglich beim Abschluss eines neuen Versicherungsvertrages möglich sein.