Rote Ampel für die Industrielösung

Lange wehrte sich die Lebensmittel-Industrie, den Nährwert ihrer Produkte mit einer einfachen Nährwert-Kennzeichnung wie der britischen Lebensmittel-Ampel auszuzeichnen. Nun droht von Seite der Industrie gleich mehrere Kennzeichnungen auf dem Schweizer Markt eingeführt zu werden. Welches System wollen aber die Konsumentinnen und Konsumenten selbst? Die Umfrage der Konsumenten-Organisationen zeigt: Dasjenige der Lebensmittel-Industrie ist es nicht.
Auf Anfang 2019 wollen die fünf global agierenden Lebensmittelkonzerne Coca-Cola, Nestlé, Mondelez, PepsiCo und Unilever europaweit eine eigene, täuschende «Lebensmittel-Ampel» auf den Markt bringen. Sie reagieren damit auf den Druck, den die Konsumenten- und Präventionsorganisationen seit Jahren auf die Lebensmittelindustrie ausüben und versuchen so, eine gesetzliche Regulierung zu verhindern..
Der Lebensmittelkonzern Danone setzt hingegen auf das etablierte, französische NutriScore und will diese Kennzeichnung auch in Belgien und Deutschland anwenden. Ob es auch in der Schweiz zur Anwendung kommen wird, hat Danone Schweiz noch nicht bestätigt.
Drei Systeme zur Auswahl
Die Allianz der Konsumentenorganisationen – Konsumentenschutz, FRC und ACSI – wollte herausfinden, welche Kennzeichnung die Konsumentinnen und Konsumenten bevorzugen. In einer Online-Umfrage hat sie drei verschiedene Systeme zur Auswahl gestellt:
- Das britische Ampelsystem (Traffic light) erlaubt es, den Gehalt an Energie, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz vorne auf der Packung auf einen Blick, bzw. über die Farben grün, orange und rot zu erfassen.
- Das französische NutriScore berücksichtigt nicht nur die vier wichtigsten Nährwerte, sondern auch Komponente wie Nahrungsfasern, Protein, Früchte und Gemüse und fasst diese Werte in einen einzigen Wert zusammen. Dieser wird ebenfalls mit einer Farbe zwischen grün und rot wiedergegeben.
Beide Systeme beruhen auf vertrauenswürdigen, unabhängigen und wissenschaftlich evaluierten Grundlagen.
- Das System der fünf Konzerne hat hingegen einen grossen Haken: Die Nährwerte werden aufgrund von willkürlich festgelegten Portionengrössen und nicht einheitlich auf 100 Gramm berechnet. 30 Gramm Frühstücksflocken oder ein halbes Löffelchen Brotaufstrich lassen die Nährwertbilanz viel besser dastehen, als wenn diese auf 100 Gramm berechnet wird. So kommen fett-, salz oder zuckerreiche Lebensmittel wie Kinderschokolade oder Brotaufstrich ohne eine einzige rote Kennzeichnung davon. Dass dies keine gute Konsumenteninformation sein kann, hat auch Mars erkannt: Im Frühjahr ist der viertgrösste Lebensmittelhersteller der Welt aus diesem Projekt ausgestiegen und verlangt stattdessen eine gesetzliche Regulierung.
NutriScore hat leicht die Nase vorn
Die Online-Umfrage der Allianz der Konsumentenschutz-Organisationen hat gezeigt, dass dieses System von den Konsumenten durchschaut und abgelehnt wird: Von den 1’787 Antworten haben lediglich knapp 3 Prozent das Ampelsystem von Coca-Cola und Co. den beiden anderen Varianten vorgezogen. Das französische NutriScore hat leicht die Nase vorn: 48 % gegenüber der britischen Ampel mit 47 %, nicht entscheiden konnten sich etwas mehr als 2 Prozent.
Die Allianz ist überzeugt, dass das Ampel- wie das NutriScore-System für die Konsumenten eine gute Lösung wäre. Studien über das Einkaufsverhalten der Konsumenten in Frankreich ergaben, dass die NutriScore-Kennzeichnung insbesondere junge Konsumenten und solche, welche sehr preisbewusst einkaufen, positiv beeinflusst. Dies sind wichtige Zielgruppen für eine bessere Ernährungsinformation.
Wirrwarr statt Transparenz
Im Frühjahr hat die Allianz der Konsumentenschutz-Organisationen Coca-Cola, Nestlé, Mondelez, PepsiCo und Unilever aufgefordert, in der Schweiz auf ein eigenes System zu verzichten und auf die britische Ampel oder NutriScore zu setzen. Die Reaktion war ernüchternd – die Konzerne wollen die Industrie-Ampel auf Ende Jahr einführen.
Sollte Danone sich dazu entscheiden, auch in der Schweiz die Produkte mit NutriScore auszuzeichnen, wären ab nächstem Jahr zwei Systeme auf dem Schweizer Markt. «Die Ampel der Lebensmittelindustrie wird kaum zur Klärung beitragen und zwei verschiedene Kennzeichnungen werden die Konsumenten zusätzlich verwirren», bedauert Josianne Walpen, Leiterin Ernährung des Konsumentenschutzes.
Ein weiterer, wichtiger Akteur, das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV, hält sich in dieser Angelegenheit sehr zurück. Dabei wäre es am BLV, dafür zu sorgen, dass sich ein einheitliches, vertrauenswürdiges System statt mehrere, intransparente Kennzeichnungen etabliert.
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Vergleich Käse oder Brotaufstrich