Zugang zum Gericht: weiterhin nur für Vermögende?

Zehn Jahre lang wurde an den rechtlichen Grundlagen für eine schweizerische Gruppenklage gearbeitet. Am 11. Dezember zeigt sich, ob der Nationalrat den Mut hat, den abweisenden Entscheid seiner Rechtskommission zu ändern. Die grosse Kammer wird am Mittwoch entscheiden, ob sie einer angepassten Zivilprozessordnung eine Chance gibt, um damit den Zugang zur Justiz endlich für alle zu gewährleisten.
Der VW-Dieselgate-Skandal widerspiegelt die Realität deutlich: Die 175’000 Geschädigten in unserem Land sind nicht entschädigt worden. Sie sind weitherum die einzigen, die keinen Schadenersatz erhalten haben. Doch die Lage ist klar, denn der VW-Konzern führte die Kundschaft in die Irre. Deswegen wurde er strafrechtlich verurteilt und musste im Ausland vielen Kund:innen Schadenersatzzahlungen leisten.
Dieses Desaster zeigt eindrücklich: Es braucht in der Schweiz endlich die Möglichkeit, Gruppenklagen einzureichen.
Schweizer Rechtsschutz auf der Kippe
“Wenn eine Person hierzulande einen Schaden erleidet, sind ihr die Hände gebunden. Sie kann ihr Recht nur einfordern, wenn sie über grosse finanzielle Mittel verfügt. Hinzu kommt, dass bei Schäden, die viele betreffen, jede:r einzelne vor Gericht gehen müsste. Das belastet nicht nur die Gerichte, es ist auch für Einzelpersonen unzumutbar», so Nadine Masshardt, Konsumentenschutz-Präsidentin.
Bereits 2013 stellte der Bundesrat in einem umfassenden Bericht fest, dass im schweizerischen Recht bei Massen- und Streuschäden eine gravierende rechtsstaatliche Lücke besteht. Daraufhin stimmte das Parlament dem Vorstoss zur Zulassung von Gruppenklagen zu. Mit abstrusen Verzögerungstaktiken verhinderte der Gesetzgeber seither, dass ein griffiger kollektiver Rechtsschutz eingeführt werden konnte. Im vergangenen Monat hatte die Rechtskommission des Nationalrats (RK-N) nun nach einer knappen Abstimmung Nichteintreten auf den Entwurf zur Änderung der Zivilprozessordnung empfohlen. Sie will also, dass der Rat nicht einmal darüber diskutiert, sondern die Gesetzesanpassung einfach ablehnt.
Verweigert der Nationalrat das verfassungsmässige Recht?
Das Argumentarium gegen die Gruppenklage ist seit jeher dasselbe: Die Gefahr amerikanischer Zustände und eine drohende Klageflut. Doch dieses ist haltlos: «In der Schweiz müsste die unterliegende Partei nicht nur die eigenen Anwaltskosten, sondern auch die Gerichtskosten und eine Parteientschädigung bezahlen. Auch gibt es keinen Strafschadenersatz. Verbände würden also nicht auf gut Glück klagen, sondern nur in gravierenden Fällen» betont Nadine Masshardt.
Die jahrelange Erfahrung europäischer Länder zeigt, dass solche Rechtsmittel für seriöse Unternehmen kein Problem darstellen. Im Gegenteil: Das Rechtsinstrument des kollektiven Rechtsschutzes stützt letztendlich diejenigen Unternehmen, welche korrekt und gesetzeskonform arbeiten. Ausserdem sind viele KMU in einer konsumentenähnlichen Stellung. Bei einem Schadensereignis (z.B. Ausfälle der Telekominfrastruktur, Lieferung von fehlerhaftem Produktionsmaterial) können sie mit der neuen Verbandsklage ihre Rechte endlich durchsetzen.