Versicherungsverträge: Bundesrat will Versicherte massiv benachteiligen

Das Versicherungsvertragsgesetz stammt von 1908. Das Verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer entspricht dem damaligen Gedankengut: Der Versicherer sitzt durchwegs am längeren Hebel. Der Verischerungsnehmer ist kein gleichwertiger Vertragspartner, er ist dem Gutdünken der Versicherung ausgeliefert. Der Bundesrat wollte das Gesetz modernisieren – die Versicherungslobby wehrt sich aber bisher erfolgreich. Der nun vorliegende Entwurf des Bundesrats zum Versicherungsvertragsgesetz ist eine grobe Enttäuschung, ein verpasste Chance, ein sträfliches Ignorieren von Expertenmeinungen und in dieser Form der Schweizer Gesetzgebung nicht würdig!
Nach jahrelangen Vorbereitungsarbeiten durch renommierte Versicherungsexperten legte der Bundesrat 2016 eine ausgewogene Revisionvorlage vor. Ziel war es, die teilweise massive Benachteiligung der Versicherten zu eliminieren und auch den Bereich der Versicherungsverträge endlich in die rechtliche Neuzeit zu überführen. Das Lobbying der Versicherungsbranche im Rahmen der Vernehmlassung war jedoch dermassen massiv, dass nun eine Vorlage in die parlamentarischen Beratungen kommt, welche zum Teil sogar hinter das geltende Recht zurückfällt.
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So sollen Versicherte in Versicherungsverträgen benachteiligt werden
- Den Versicherungen soll es in Zukunft explizit erlaubt sein, die Versicherungsbedingungen jederzeit einseitig anzupassen. Im Bereich der Krankenkassenzusatzversicherungen kann dies bedeuten, dass ein Versicherter während 30 Jahren Prämien bezahlt für ein bestimmtes Risiko. Die Versicherung bestimmt dann neu, dass Leistungen ausgeschlossen sind für Versicherte, die 70 Jahre oder älter sind. Im Krankheitsfall ab 70 haben diese Personen somit während Jahrzehnten Prämien bezahlt für Leistungen, die sie dann doch nie erhalten werden.
- Der Versicherer soll das Recht haben, auch bei einem Versäumnis des Versicherten, welches keinen Einfluss hatte auf den Eintritt oder den Umfang des eingetretenen Schadens, sämtliche Leistungen zu verweigern. Wenn also der Versicherte nach einem Unfall nicht unverzüglich einen Arzt aufsucht, so kann die Versicherung jede Leistung verweigern. Der Versicherte muss beweisen, dass die Verletzung (z.B. ein komplizierter Knochenbruch) die selben Behandlungskosten verursacht hätte, auch wenn er zwei Tage früher zum Arzt gegangen wäre.
- Wenn das versicherte Risiko weggefallen ist, soll die Versicherung neu explizit das Recht haben, trotzdem für die gesamte Prämienperiode die Prämie zu verlangen. Zahlt der Versicherte z.B. im Februar die Prämie für eine zusätzliche Automobilversicherung, zwei Monate später wird das Auto aber gestohlen, so hat der Versicherte kein Recht auf Rückerstattung der Prämie für die verbleibenden Monate der Prämienperiode.
Es ist zu hoffen, dass im Rahmen der bevorstehenden parlamentarischen Beratungen doch noch Vernunft einkehrt. Dass dieses maximale Ungleichgewicht in den Kräfteverhältnissen zwischen Versicherungen und Versicherungsnehmern erkannt und korrigiert wird. Vielleicht hilft dabei der Gedanke, dass das Versicherungsvertragsgesetz nicht “bloss” den Schutz des einzelnen Konsumenten zum Ziele hat. Auch das Gewerbe ist Versicherungsnehmer – jede Partei, die nicht selber versichert, kann Opfer dieses höchst unfairen und einseitigen Rechtsrahmens werden.