Endlose Tarifspirale im ÖV begünstigt den Individualverkehr
Dieser Blog ist im ETH-Klimablog veröffentlicht worden.
Die Diskussion um die Tarife des öffentlichen Verkehrs hat vor rund zwei Jahren so richtig an Fahrt zugenommen. Mit meinem Generalabonnement 2. Klasse bereise ich an Werk- und vereinzelt an Wochenendtagen die Schweiz. Seit der Lancierung der Tarifdebatte wird mir immer wieder vor Augen geführt, dass ich – gemeinsam mit der knappen halben Million anderer GA-Fahrgäste – für einen Fahrkilometer durchschnittlich deutlich zu wenig an das aufwändige System bezahle würde.
Flexibilität und Bequemlichkeit hat seinen Preis
Der Verband des öffentlichen Verkehrs VöV wiederholt gebetsmühlenartig, zu welchem Schnäppchenpreis der Luxus des offenen Schienen- und Busnetzes in der Schweiz zu haben sei. Ebenfalls immer nachgeschoben wird, dass dieses schweizerische System des flexiblen Verkehrs mittels GA einzigartig und nicht selbstverständlich sei. Es sei ja nachvollziehbar, dass Vielnutzer des öffentlichen Verkehrs diesen in angepasstem Mass mitfinanzieren sollen, ansonsten könnte das «Aus» drohen.
Mehrfach haben mir zudem die SBB – als dominanteste Stimme des VöV – mit Zahlen und Grafiken aufgezeigt, dass Generalfahrscheine exzessiv ausgenutzt werden. Mit durchschnittlichen 13 Rappen könne natürlich nicht mehr von einem gerechten Kilometerpreis gesprochen werden. Hier gelte es dringend, Gegensteuer zu geben.
Widersprüchliche Werbeaktion
Solcherlei Erklärungen hinterlassen bei mir einen schalen Nachgeschmack. Verstärkt wird mein Empfinden durch eine Werbesendung der SBB, die kürzlich ins Haus flatterte. Als GA-Besitzerin wurde ich darauf hingewiesen, dass ich meinen Fahrschein doch vermehrt auch für die Freizeit nutzen solle. Mit verlockenden Bildern von traumhaften, weit entlegenen Ausflugszielen unseres Landes lieferten die SBB einen ganzen Ideenkatalog mit.
Nicht erst seit dieser Werbekampagne ziehe ich ernsthaft in Zweifel, ob der tiefe durchschnittliche Kilometerpreis der GAs tatsächlich das Hauptproblem der Finanzierung des öffentlichen Verkehrs ist, so wie der VöV seit Jahren glaubhaft machen will.
Bezahlen für ungewisse Leistungen
Der öffentliche Verkehr in der Schweiz ist eine Erfolgsgeschichte, trotz diverser Korrekturmöglichkeiten. Insgesamt funktioniert das hochkomplexe System reibungslos und wird von der stetig wachsenden Anzahl Nutzerinnen und Nutzer geschätzt. Natürlich sind diese auch bereit, für die Transportleitung einen angemessenen Preis zu bezahlen.
Die vor wenigen Tagen angekündigte dritte Tariferhöhungsrunde in Jahresfolge zeigt aber, dass an erster Stelle die Fahrgäste ihre Portemonnaies zu öffnen haben.
Die Preisspirale dreht sich in den nächsten Jahren weiterhin gegen oben. Doch als Nutzerin ist mir schleierhaft, wo der Gegenwert für die gestiegenen Kosten genau bleibt – mein GA verteuert sich im Zeitraum 2010-2013 immerhin um fünfzehn Prozent oder um 460 Franken.
Wird die Reisezeit der wichtigsten Fernverkehrsachsen mit Milliardenaufwänden um einige wenige Minuten verkürzt? Wird an die weitere Anbindung ins europäische Netz investiert? Stopfe ich vielleicht das NEAT- oder SBB-Pensionskassen-Loch? Oder gibt es in absehbarer Zeit vermehrt Doppelstockzüge mit praktischen Sitz- und Stehplätzen, allenfalls sogar im Regionalverkehr?
Fahrgäste nicht zu Individualverkehr verleiten
Noch warten wir auf die Antworten und bezahlen vorerst fürs Ungewisse. Als erstes müsste geklärt werden, was der öffentliche Verkehr der Zukunft bieten soll und wer dazu welchen finanziellen Beitrag leistet. Die politische Grundsatzdiskussion hat aber erst begonnen.
Es ist ein Spiel mit dem Feuer, wenn die Fahrgäste, der schwächste Teil im System, regelmässig mit Tariferhöhungen zur Kasse gebeten werden – unter anderem mit dem 13-Rappen-Fahrkilometer-Argument. Denn jeder in den Individualverkehr zurückverlagerte Kilometer ist ein herber Rückschlag für die Umwelt.
Sara Stalder
Geschäftsleiterin Stiftung für Konsumentenschutz