Versicherungsvertragsgesetz: Was sehr lange währt, wird nur teilweise gut

Heute verabschiedete das Parlament das revidierte Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Die Revisionsarbeiten dauerten 17 Jahre! Diese lange Bearbeitungszeit bedeutet jedoch nicht, dass die Revision entsprechend gut gelungen ist.
Das VVG regelt die Rechte und Pflichten zwischen den versicherten Einzelpersonen oder Unternehmen und den Versicherungen. Das über 100 Jahre alte VVG ist nach einer beispiellos langen Odyssee nun endlich fertig revidiert worden. Seit dem Start von 2003 brüteten verschieden Expertengruppen über dieser Gesetzesrevision, lenkten verschiedene DepartementsvorsteherInnen die Vorlage in unterschiedliche Richtungen, wurden Parlamentsberatungen teilweise unkonventionell geführt und – last but not least – lobbyierte der Versicherungsverband enorm im Hintergrund. Das nun vorliegende Endresultat ist das Ergebnis all dieser Faktoren.
Nähere Informationen zum Dossier finden sich hier.
Ein Segen für das Revisionsprojekt waren die Parlamentswahlen 2019. So kippte der Nationalrat in seiner Sondersession im Mai 2019 immerhin einige der schlimmsten Bestimmungen, die unterdessen wieder Eingang in die Revisionsvorlage gefunden hatten. Zusätzlich fügte er versichertenfreundliche Bestimmungen hinzu. Auch die Mitglieder des Ständerates zeigten sich volksverbunden und entschieden sich für die eine oder andere zusätzliche Neuerung zu Gunsten der Versicherten. In den nachfolgenden parlamentarischen Entscheiden kam es zu diversen Änderungen. Neuerungen wurden neu eingefügt, andere wieder gestrichen – mit klarer Tendenz zu Gunsten der Versicherungsbranche.
Dieses Hin und Her führte dazu, dass mit der Revision die bestehenden Asymmetrien und Ungerechtigkeiten nur teilweise behoben wurden. Es ist eine Enttäuschung, dass es nach so vielen Jahren Vorbereitungsarbeiten nicht gelungen ist, eine Vorlage zu verabschieden, die den Anforderungen an ein modernes Versicherungsvertragsgesetz gerecht wird.
Die nachfolgenden drei Punkte sind eigentlich Selbstverständlichkeiten in Verträgen, jedoch mussten diese bei den Versicherungsverträgen bisher noch nicht angewandt werden:
- So muss der Versicherte neu ein ordentliches Kündigungsrecht haben, er kann also nicht mehr in Verträgen mit 10-jähriger Lauffrist festgehalten werden.
- Es wird endlich die Ausnahme vom Widerrufsrecht aufgehoben so dass der Konsument das Recht hat, den Abschluss eines Versicherungsvertrags während 14 Tagen rückgängig zu machen.
- Und schliesslich kann der Versicherte eine Prämienreduktion oder die Auflösung des Vertrags verlangen, wenn sich das versicherte Risiko erheblich vermindert hat – so wie umgekehrt seit je her die Versicherung das Recht hat, die Prämien zu erhöhen oder den Vertrag zu kündigen, wenn sich das Risiko vergrössert.
Die Vorlage enthält auch echte Verbesserungen, die allerdings in jeder modernen Versicherungsvertragsgesetzgebung zum Standard gehören:
- Oft kommt es vor, dass die grundsätzliche Leistungspflicht der Versicherung unbestritten, die Höhe der Zahlung aber bestritten ist. Neu ist die Versicherung verpflichtet, ihre Leistung bis zur unbestrittenen Höhe zu leisten.
- Falsche Angaben des Versicherte beim Vertragsabschluss (Anzeigepflichtverletzungen) – beabsichtigte oder unbeabsichtigte – dürfen nicht mehr zum vollständigen Leistungsausschluss führen. Die Versicherung darf ihre Leistungen nur noch kürzen, soweit die falschen Angaben einen Einfluss und Eintritt bzw. Umfang des Schadens hatten.
- Im Bereich des Haftpflichtrechts besteht oft ein sozialer Kontakt zwischen Geschädigtem und dem Schädiger. Dies hat vielfach zur Folge, dass der Geschädigte z.B. auf Schadenersatzzahlungen verzichtet. Neu kann der Geschädigte seine Forderungen direkt bei der Haftpflichtversicherung des Schädigers geltend machen.
Wichtige Punkte, die für ein faires und ausgewogenes Versicherungsgesetz wesentlich sind, fehlen leider nach wie vor:
- Schäden treten häufig erst einige Zeit nach Eintritt des Gefahrenereignisses ein. Moderne Versicherungsgesetze kennen die Nachhaftung: Die Versicherung haftet während einer bestimmten Dauer für Schäden, die nach Beendigung des Versicherungsvertrags auftauchen.
- Erfüllt der Versicherte seine Pflichten nicht exakt so, wie sie im Versicherungsvertrag vorgesehen sind, so kann die Versicherung ihre Leistungen weiterhin kürzen oder ganz streichen. Der Versicherte müsste nachweisen, dass die Pflichtverletzung Eintritt und Umfang des Schadens nicht beeinflusst hatte. Ein Versicherter wird aber kaum je nachweisen können, dass beispielsweise ein verspäteter Arztbesuch nach einem Unfall keinen entscheidenden Einfluss auf den schwierigen Heilungsverlauf hatte.
- Und noch ein Paradebeispiel an Asymmetrie und ungleich langen Spiessen: Verletzt die Versicherung Informationspflichten, so erlischt das Kündigungsrecht des Versicherten vier Wochen, nachdem er von der Pflichtverletzung Kenntnis genommen hat, jedenfalls spätestens zwei Jahre nach der Pflichtverletzung. Auf der anderen Seite – bei einer Anzeigepflichtverletzung durch den Versicherten – fehlt eine derartige Verwirkungsfrist. Die Versicherung darf den Vertrag auch nach zehn Jahren auflösen, einzige Voraussetzung ist die Einhaltung der vierwöchigen Frist nach Kenntnisnahme der Pflichtverletzung.
Der Bundesrat wird bestimmen, per wann das revidierte VVG in Kraft tritt.