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Wirtschaftskunde in den Ferien

Seit Kindheit ist mir die simple Weisheit bekannt: Auf dem Wochenmarkt im Ausland gehört das Feilschen um Preise zum Tagesgeschäft. Wenn die Zugehörigkeit zu einer Grossfamilie belegt werden kann, bestehen gute Chancen, eine Preissenkung zu erreichen. Dieser Umstand beeindruckt jeden Kleider-, Taschen- oder Spielzeughändler. Andererseits hatte ich schon als Kind von meinem Vater gelernt: Mein Feriensackgeld reicht am wenigsten weit, wenn ich mich als Schweizerin zu erkennen gebe. In diesem Fall steigen die Preise sofort in schwindelerregende Höhen, da die Marktfahrer von der überdurchschnittlichen Kaufkraft des Alpenlandes gehört haben und am sagenhaften Reichtum der schweizerischen Bevölkerung mitverdienen wollen.

Nicht nur in meiner Jugendzeit- also vor mehr als dreissig Jahren- wurde die Schweiz als reiche Insel wahrgenommen. Noch heute werden wir als Wohlstandsland gehandelt und es ist nachvollziehbar, dass möglichst viele daraus Profit schlagen wollen. Doch nicht nur der T-Shirt-Verkäufer in Südfrankreich oder der Schuhhändler im Touristenort an der Adria machen sich diesen Umstand zu Nutzen. Weltweit tätige Grosskonzerne schliessen sich dieser Denkweise an. Sie sahnen zudem tüchtig ab wegen der wettbwerbs-beschränkenden Verhaltensweise, die sich die Schweiz selbst auferlegt hat: Da in unserem Land keine Parallelimporte zugelassen sind, müssen sich unsere Unternehmer dem Preisdiktat der ausländischen Anbieter unterwerfen. Das Denken des südländischen Marktfahrers ist identisch mit den Strategien der Grossunternehmer. Der rote Faden zieht sich vom kleinen Touristenwochenmarkt bis zu den riesigen Einkaufsmessen in Mailand oder Düsseldorf: Schweizerische Sportartikel- oder Schuheinkäufer erhalten eine andere Preisliste, natürlich angepasst an die mysthische Kaufkraft. Lieber Leser, liebe Leserin, Sie werden es vermutlich bereits erraten haben: Die Einstandspreise auf diesen Schweizer-Listen sind mindestens zehn Prozent höher. Vielleicht verstehen Sie deshalb, dass ich in den Ferien auch heute noch versuche, beim Handel auf dem Wochenmarkt meine Nationalität zu verbergen. Ich spare mit dieser Geheimniskrämerei unzählige Euros. Die Kinder freuts: Ein zusätzliches Eis am Strand ist ihnen gewiss.

Der Sportschuheinkäufer und die Kleidereinkäuferin aus der Schweiz können kein Versteckspiel treiben und müssen offenlegen, dass die Waren in unserem Land zum Verkauf kommen. Einzig und allein die Politik hat es in der Hand, dieses Dilemma zu korrigieren: Parallelimporte müssen zugelassen werden, damit die Schweiz einen Nutzen hat von den unterschiedlichen Preisgestaltungen im Ausland. Erst dann wären Preisvergleiche möglich und die Einkäufer könnten um Preise feilschen. Die damit eingesparten Gelder verschafften unserer Bevölkerung mehr als eine Extrarunde Eiscrème: jährlich müssten pro Haushalt bis 10’000 Franken weniger an ausländische Firmen abgegeben werden. Für mich unbegreiflich, dass sich Politikerinnen und Politiker gegen eine solche immense Einsparrunde aussprechen! Fehlt ihnen die persönliche Erfahrung der willkürlichen Preisgestaltung auf einem südländischen Markt?

Sara Stalder

Geschäftsleiterin Stiftung für Konsumentenschutz